Die Grafen derer zu Drachenfels waren von jeher dafür bekannt, dass sie in jungen Jahren - und manche auch noch ein wenig darüber hinaus – sich in der Weltgeschichte herumtrieben.
So blieb es auch nicht aus, dass einige von ihnen in der Fremde nicht nur die gewünschten Abenteuer fanden, sondern auch ihr Glück in der Liebe.
Dieses nun ist die Geschichte, die Syrianna zu Drachenfels einst ihrer Enkeltochter Komtess Xelina erzählte und welche Xelina so begeisterte, dass sie dieselbe eigenhändig aufschrieb. Durch Zufall wurde dieses Pergament nun in einem alten Buche entdecket und, da durch das Alter schon stark mitgenommen, eine Abschrift davon angefertigt, welche nun in der Bibliothek der Burg Drachenfels jedermann zugängig ist.
Die Heimat, in der Syrianna aufwuchs, unterschied sich in vielen Dingen von der unseren.
Das Land – weit entfernt von Drachenfels – bestand zum großen Teil aus grasiger Steppe, die bis hinter den Horizont hinaus zu reichen schien. Nur in Flussnähe war der Boden so fruchtbar dass er auch Getreide, Obst und Gemüse gedeihen ließ. Die Haupteinnahmequelle der Menschen hier waren ihre Rinder -, Ziegen- und Schafherden ….. ja, und vor allem ihre Pferde. Auch Syriannas Vater besaß eine große Herde dieser edlen Tiere und der Ruf seiner hervorragenden Zucht war weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Frauen waren den Männern gleichgestellt, aber leider nur in ganz ganz wenigen Positionen. Die meisten Domänen waren in Männerhand.
Es gab extra Schulen für Mädchen hier im Lande, getrennt von den Jungen, die außer den Grundkenntnissen in Schreiben, Lesen und etwas Rechnen hauptsächlich häusliche Fähigkeiten wie Spitzenklöppeln, Weben, Nähen und Sticken unterrichteten. Dort lernten die zukünftigen Ehefrauen, wie man dem Gemahl ein behagliches Zuhause einrichtete, in dem dieser sich dann wohl fühlen sollte.
Kurz gesagt – in diesem Land war man noch äußerst konservativ. In manchen alteingesessenen Familien ging das sogar noch soweit, dass die unverheirateten Mädchen in der Öffentlichkeit ihr Gesicht verschleierten. Den Göttern sei Dank wehrten sich immer mehr Töchter gegen diese Sitte.
Syriannas Mutter war bei der Geburt verstorben und die Amme hatte deren Platz eingenommen. Der Vater hatte wenig Zeit für Kindererziehung, war viel auf Reisen und so wuchs Syrianna zusammen mit ihren 5 Brüdern selber fast wie ein Junge auf. Für die Söhne hatte der Vater einen Privatlehrer engagiert, von dessen Unterricht auch die Tochter profitierte. Syrianna hatte einen wachen Geist und lernte schnell. Im Rechnen war sie ihren Brüdern sogar bald voraus. Zum Entsetzen der Kinderfrau wollte sie aber wenig von Sticken, Nähen und anderem Frauenwerk wissen. Viel lieber nahm sie am Waffenunterricht teil oder ritt im Herrensitz wie eine Wilde über die Steppe.
.Sie hatte überhaupt eine sehr gute Hand mit Tieren. Sie liebte die Pferde und diese schienen sie zu lieben. Manchmal schien es gar, als könnten sie miteinander sprechen.
Die Kinderfrau drohte oft, dass sie sich eine andere Stellung suchen würde, wenn Syrianna nicht endlich anfing, sich wie eine junge Dame zu benehmen, aber in den Augen der Stallburschen stieg ihr Ansehen von Tag zu Tag.
So wurde mit den Jahren aus einem kleinen wilden Mädchen ein großes wildes Mädchen. Eines, das ihren eigenen Kopf hatte, eines, das genau wusste, was es wollte und dies dann auch durchsetzte.
Für die alte Amme gab es für dieses undamenhafte Benehmen nur eine Lösung:
Syrianna musste so schnell wie möglich verheiratet werden. Und deshalb suchte sie Hilfe bei der Halwei, der Heiratsvermittlerin. Man sagte ihr nach, dass sie bis jetzt nahezu jeden Auftrag zur Zufriedenheit ihrer Kunden ausgeführt hätte.
Und hier nun beginnt unsere eigentliche Geschichte.
Es war Vormittag, aber schon so heiß, dass selbst die Hunde schon den Schatten aufsuchten.
Syrianna hatte die letzten zwei Stunden auf dem Mark verbracht, die Waren der Händler durchstöbert und ein paar Einkäufe getätigt. Eigentlich hatte sie sich in Hochstimmung befunden, doch jetzt war sie stinke sauer. Angefangen hatte dies vor etwa einer Stunde. Sie hatte sich an einem Stand gerade wundervoll gearbeitete Satteltaschen angeschaut und war schon bereit gewesen, mit dem Händler darum zu feilschen, als sie sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass sie angestarrt wurde. Sie wandte sich um und blickte in die Augen eines jungen, sehr wohlgenährten Mannes, der sie angaffte wie ein Kalb den Vollmond. Syrianna erwiderte den Blick trotzig und hob indigniert eine Augenbraue – eine Geste, die sie zur Vollkommenheit beherrschte. Ihr Gegenüber errötete bis unter die Wurzeln seines fahlblonden Haares und drehte sich verlegen um. Jetzt erst bemerkte Syrianna die Halwei, die dicht neben dem Jüngling stand und aufmunternd auf ihn einredete. Syrianna verzog das Gesicht, als hätte sie in eine Sauerfrucht gebissen. Anscheinend war die Halwei wieder auf Beutefang.
Diese alte Vettel sollte sie bloß in Frieden lassen. Sie hatte noch lange nicht die Absicht zu heiraten und wenn, dann würde sie bestimmt nicht deren Hilfe dafür in Anspruch nehmen.
Syrianna wandte sich wieder dem Händler zu, doch irgendwie hatte sie die Lust am Kaufen verloren, murmelte etwas von „später vielleicht“ und schlenderte weiter. Es dauerte eine Weile, ehe sie bemerkte, dass sie verfolgt wurde. Erst war es nur ein Verdacht, aber als sie dann absichtlich schneller ging, ein paar Ecken abkürzte und sich die zwei Männer immer noch in sichtbarem Abstand hinter befanden, war sie sich fast sicher. Einer von ihnen, der besser gekleidete, war der Mann, den sie bei der Halwei gesehen hatte. Der zweite war hoch gewachsen und ein gewickelter Turban verdeckte sein Gesicht bis auf die Augen. Ihr erster Impuls war, auf die beiden zu zugehen und sie zur Rede zur stellen. Doch dann sagte sie sich, dass die zwei sicher alles abstreiten und sie auslachen würden. Außerdem konnte sich ja jeder auf dem Markt frei bewegen. Sie würde sich bei allen mit ihrem Verdacht nur lächerlich machen.
Syrianna beendete ihren Marktbesuch vorzeitig und mehr als verärgert. Ausgerechnet heute war sie auch noch zu Fuß unterwegs.
An der ersten Biegung blickte sie vorsichtig über die Schulter zurück und sah die beiden Männer ebenfalls den Markt verlassen und ihre Richtung einschlagen. Sie folgten ihr tatsächlich. Doch falls die beiden wirklich vorhaben sollten, sie einzuholen, müssten sie schon früher aufstehen.
Vor dem Haus des Tuchhändlers machte Syrianna kurz Halt, dann eilte sie zur Tür und verschwand im Inneren des Hauses.
Eine Frau trat ihr entgegen. Ihr „Willkommen“ klang herzlicher, als es gemeint war.
Syrianna grüßte höflich zurück.
„Ist Syranah da?“ erkundigte sie sich
Die Frau zögerte kurz, dann nickte sie und deutete nach oben. Missbilligend schaute sie der Besucherin nach, die die Treppen hinauf sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Dieses Mädchen benahm sich wirklich nicht so, wie es ihrem Alter und ihrem Stand nach angemessen erschien. Ohne Begleitung draußen herum zu laufen, und dann auch noch ohne Schleier. Hoffentlich erlag ihre eigene Tochter Syranah nicht dem schlechten Einfluss, den dieses Mädchen auf sie ausübte.
Die Frau sah es gar nicht gerne, wenn die beiden sich trafen, aber Syriannas Vater war einer der einflussreichsten Persönlichkeiten im Ort und als bei weitem nicht so reiche Tuchhändlerfamilie verdarb man es sich besser nicht mit ihm. Jeder wusste, wie er seine Tochter vergötterte. Die Frau seufzte und machte Anstalten, den Mädchen Gesellschaft zu leisten, aber ein Ruf ihres Mannes machte ihr Vorhaben zunichte. Folgsam drehte sie auf der Treppe um und ging Richtung Laden.
Syranah saß am Fenster und stickte. Gleichmäßig zog sie den Faden durch den aufgespannten Stoff. Eine neue Blüte entstand und reihte sich ein in das schon vorhandene Muster.
Als das Mädchen die Schritte auf der Treppe hörte, legte sie die Handarbeit beiseite und erhob sich. Die Tür flog auf.
„Syrianna. Ich wusste, dass du es bist. Keiner stürmt die Treppe so herauf wie du.“
Sie schaute die Besucherin missbilligend an
„Dein Gesicht ist gebräunt wie das einer Bauernmagd“ schalt sie
„So wirst du nie einen Gatten finden - zumindest keinen, der auf gutes Benehmen Wert legt.“
„Nun, du benimmst dich mehr als musterhaft – aber verheiratet bist du auch nicht.“ Syrianna konnte sich die kleine Spitze nicht verkneifen.
Wenn der Pfeil getroffen hatte, so ließ Syranah es sich nicht anmerken. Nur ihr spitzes Kinn schob sich ein kleines Stück nach vorn.
Syranah war eine sehr weit entfernte Verwandte von Syrianna und obwohl ihre Namen sich so stark ähnelten, konnten die Unterschiede zwischen den beiden Mädchen kaum größer sein. So ungestüm die eine war, desto besonnender war die andere. Und wenn die eine keine finanziellen Sorgen kannte, so wusste die andere doch, was es hieß, eisern sparen zu müssen. Und in noch einem Punkt unterschieden sie sich. Während bei Syrianna die Natur verschwenderisch mit weiblicher Schönheit umgegangen war, hatte sie bei Syranah eher gegeizt. Nein, sie war nicht hässlich – aber im Gegensatz zu Syrianna war sie einfach nur eine, nun, eine unauffällige kleine graue Maus. Ihre etwas zu groß geratenen Schneidezähne untermauerten diesen Eindruck noch. Und durch die Erziehung seitens der Mutter kannte sie nur ein wichtiges Ziel, auf das sie ihr Leben ausrichtete: Einen möglichst wohlhabenden Ehemann zu finden. Leider hatte bis jetzt noch keiner bei ihr angeklopft, nicht einmal ein nicht so wohlhabender. Dabei war sie bereits einige Jahre älter als Syrianna.
„Was führt dich eigentlich zu mir?“
Die beiden Mädchen kannten sich, so wie das in einem kleineren Ort unvermeidbar ist, aber sie waren nicht gerade die dicksten Freundinnen.
„O, richtig. Ich habe mir den Ärmel meiner Bluse aufgerissen und wollte dich bitten, ihn zu nähen. Farla schimpft sonst wieder mit mir wie ein Rohrspatz. Und du bist die beste Näherin weit und breit.“ Schmeichelte Syrianna.
„Recht hat sie, deine Farla“ murrte Syranah vor sich hin, aber sie holte willig ihr Nähzeug und nachdem die andere sich der Bluse entledigt hatte, machte sie sich daran, dieselbe zu flicken. Es war nur ein kleiner Riss und die Arbeit war schnell getan. Jede andere hätte sich darüber gewundert, dass Syrianna sich um so eine Kleinigkeit Gedanken machte, aber nicht Syranah. Für sie war es klar: man lief nicht mit einem Loch in der Kleidung herum – egal wie klein es auch sein mochte. So etwas gehörte sich einfach nicht.
Syrianna spähte derweil unauffällig aus dem Fenster. Der beturbante Lange stand in der Nähe des Hauses und schien es nicht aus den Augen zu lassen. Von dem anderen Mann war nichts zu sehen. Syrianna verlor kein Wort über die Angelegenheit, sondern bedankte sich artig für die Hilfe.
“Vielen Dank, Syranah.. Hier, ich habe dir etwas mitgebracht – als Dankeschön.“
Syrianna nestelte ein Päckchen aus ihrer Tasche. Ein unverwechselbarer Duft verriet den Inhalt.
„Kaweeh! Das kann ich nicht annehmen“ wehrte Syranah ab, aber das begehrliche Leuchten in ihren Augen strafte ihre Worte Lügen.
Sie liebte dieses Getränk aus den schwarzen Bohnen, die mit den Karawanen von sehr weit hierher kamen. Nur reichte Leute konnten sich einen größeren Vorrat davon leisten, denn die Kaweeh-Händler verlangten einen unverschämten Preis für ihre Ware. Syranahs Mutter hütete eine kleine Dose dieser Bohnen wie einen Schatz und nur ganz wichtigen Besuchern wurde von dem daraus zubereiteten heißen Gebräu angeboten. Selbst der Vater trank diese Köstlichkeit nur zu besonderen Anlässen.
Die wertvollen Bohnen wechselten den Besitzer, dann verabschiedete sich Syrianna und verschwand schnellen Schrittes wie sie gekommen war – mit einer kleinen Ausnahme. Sie nahm diesmal nicht die Tür zur Straße sondern wählte den Ausgang hinten raus zum Garten, wo sie ohne Schwierigkeiten über die Mauer kletterte und auf einer Seitenstraße landete. Vergnügt vor sich hin trällernd eilte sie nach Hause.
Kurz vor ihrem Heim traf sie auf die Halwei, die sie schier überschwänglich grüßte. Syrianna nickte nur kurz zurück und beschleunigte ihre Schritte, um ein Gespräch mit der Alten zu vermeiden.
Zuhause empfing sie eine sehr gut gelaunte Amme, was Syrianna nun doch etwas verblüffte. Farla, die Kinderfrau zeterte sonst meist immer, wenn das Mädchen von ihren Alleingängen zurückkam. Doch diesmal keine Spur davon. Vielleicht lag das ja daran, das Atran, ihr ältester Bruder bald von seiner Reise zurück erwartet wurde. Erleichtert verschwand Syrianna in der Küche.
Ihr Vater und ihre restlichen Brüder hatten schon gegessen und waren bereits wieder draußen bei den Pferden. Die Einjährigen wurden heute von der Herde ausgesondert. Bei dieser Hitze waren die Tiere meist besonders störrisch. Syrianna zog sich rasch um und machte sich auf den Weg zu den Weiden. Sie nahm einen großen Krug mit, den sie am Brunnen mit frischem Wasser füllte.
Schon von weitem sah sie den aufgewirbelten Staub, hörte das Rufen der Männer und das Wiehern und Stampfen der Tiere. In der Umzäunung tummelten sich bereits jede Menge Jungtiere. Die Männer hatten gute Arbeit geleistet. Syrianna versuchte sich mit Winken und Rufen bemerkbar zu machen. Ihr Vater bemerkte sie als erster und kam an den Zaun geritten, ihre Brüder folgten nach und nach. Dankbar nahmen sie den Wasserkrug entgegen.
„Kann ich helfen?“ Syrianna hatte bereits auf den Zaunpfosten geschwungen. Doch ihr Vater winkte ab.
„Wir sind fast fertig. Es ist heute gut gelaufen. Morgen können wir mit dem Trennen beginnen.“
Dies bedeutete, dass dann bestimmt würde, welche der Tiere zur Zucht blieben und welche in den Verkauf gehen würden. Einjährige waren billiger als zugerittene Dreijährige. Allerdings waren da die Qualitäten der einzelten Tiere noch nicht so ausgeprägt. Nicht immer ließ sich voraus sagen, wie sich das Jungtier entwickeln würde. Deshalb fanden selten alle einen neuen Besitzer und die, die zurückkamen, wurden dann in den nächsten zwei Jahren eingeritten, bevor man sie erneut zum Verkauf anbot. Von den ausgebildeten Tieren war noch nie eines zurückgekommen. Da war die Nachfrage meist größer als das Angebot.
Syrianna spähte suchend in der Herde der Einjährigen, die immer noch aufgeregt durcheinander quirlte.
„Oh, da ist Gayla’s Fohlen. Es hat sich prächtig entwickelt.“
Sie deutete auf eine fuchsrote kleine Stute, deren Fell in der hellen Sonne wie frisches Kupfer gleißte.
„Bekomm ich sie, Vater“ schmeichelte Syrianna. „Du hast mir versprochen, dass ich mir eins aussuchen darf.“
Der Vater tat, als könne er sich nicht an so ein Versprechen erinnern, aber seine Augen lachten.
„Vielleicht zu deiner Hochzeit“ der jüngste Bruder zog sie neckisch am Zopf, worauf sie ihm die Zunge zeigte.
„Aber bei so einem Benehmen“ seufzte er darauf übertrieben, „wirst du wohl lange auf das Pferd warten müssen.“
Syrianna drohte ihm mit dem leeren Krug.
Lachend kehrten die Männer zu ihrer Arbeit zurück. Syrianna schaute ihnen noch ein Weilchen zu und schlenderte dann zum Fluss hinunter.
Es war nicht der Hauptstrom, der für kleinere Schiffe nutzbar war, sondern ein alter, abgeteilter Nebenarm, dessen Wasser träge und mit nur schwacher Strömung dahin floss. Alles war ruhig und friedlich. Die alten Weiden ließen ihre Zweige hinab bis ins Wasser hängen und auf dem Fluss schaukelten verschlafen ein paar Haubentaucher. Syrianna setze sich auf einen ufernahen Felsen und zog die Schuhe aus. Dann watete sie ein Stück in das flache Wasser. Das war so angenehm und erfrischend, dass sie sich spontan zu einem Bad entschloss. Als Kinder hatten sie oft hier geplanscht, aber seit längerer Zeit scheute sie sich, zusammen mit ihren Brüdern zu schwimmen. Sie geniere sie sich plötzlich. Aber heute war sie allein. Sorgfältig sah sie sich um. Die Männer waren noch mit den Pferden beschäftigt. Schnell streifte sie ihre Kleidung ab bis auf das Unterkleid und verstaute sie wie in Kindertagen in dem hohlen Baum. Dann warf sie sich in die Fluten.
Oh, wie herrlich. Sie ließ sich ein Stück treiben, schwamm dann mit kräftigen Zügen zum Ufer zurück. Erfrischt stieg sie aus dem Wasser. Das nasse Unterkleid klebte an ihrem Körper wie eine zweite Haut, aber bei der Hitze würde es schnell trocknen.
Schon machte sie Anstalten, es sich über den Kopf zu streifen, als sie Stimmen hörte. Erschrocken kauerte sie sich hinter den dicken Stamm einer Weide und hoffte, dass der dichte Blättervorhang sie vor fremden Blicken verbarg. Die beiden Männer vom Vormittag fielen ihr wieder ein. Sie schalt sich eine Närrin Wie konnte sie nur so unachtsam gewesen sein. Und sie versuchte sich, noch kleiner zu machen.
_ . _
Wenige Meilen weiter hatte der wohlbeleibte Jüngling sich inzwischen in seine besten Kleider geworfen und kam nun hoch zu Ross beim Hause des Tuchhändlers an. Es war Golhan, der Sohn eines Karawanenwirtes, dessen Familie als recht wohlhabend galt. Die Karawanserei seines Vaters lag zwei Tagesreisen von hier entfernt und es war Golhans erste große Reise, die er alleine, nur in Begleitung eines Bediensteten angetreten war. Golhan war auf Brautschau, auf Freiersfüßen. Er hatte von Syrianna, der wilden Tochter des Pferdezüchters gehört und war so fasziniert von den Geschichten, die über sie erzählt wurden, dass er wusste,
d i e würde er heiraten. Und als die Halwei ihm auf dem Markt seine Zukünftige noch gezeigt hatte, war er sich erst recht sicher. Die oder keine. Er fand es zwar nicht schicklich von ihr, ohne Begleitung und Schleier aus dem Hause zu gehen, aber er würde sie schon zu zähmen wissen.
Nun, um es gleich zu sagen: Bei dem Verhältnis zwischen Golhans Körperfülle und der Schärfe seines Verstandes war letztere eindeutig in der Minderheit. Golhan war nicht ausgesprochen dumm, er verfügte nur über einen etwas eingeschränkten Horizont. Seine Devise lautete: Warum etwas Neues ausprobieren, wenn das Alte gut genug war. Solange er einen wohl gedeckten Tisch vorfand und auch das finanzielle stimmte, war er der zufriedenste Mann, den man sich vorstellen konnte. Es grenzte schier an ein Wunder, dass er aus freien Stücken die Strapazen dieser Reise auf sich genommen hatte. Aber so war das nun einmal mit der Liebe.
Und seit er der Begegnung auf dem Marktplatz gab es für ihn kein halten mehr. Er hatte Syrianna unbemerkt, da war er sich absolut sicher, auf dem Markt beobachtet, ja, war ihr sogar mit seinem Diener bis zu ihrem Elternhause gefolgt und nun wollte er zur Tat schreiten.
Sein Diener, der das Haus im Auge behalten hatte, während er selbst sich dem Anlass entsprechend in ihrem Quartier umkleidete, bestätigte, dass das Mädchen das Gebäude nicht mehr verlassen hatte. Und so ließ Golhan sich vom Pferd helfen und schickte den Diener vor, auf dass er ihn gebührend anmelde.
O wie entzückt war Syranahs Vater, als er von dem Besuch und dessen Begehren erfuhr. Natürlich hatte er von Golhans Familie schon gehört. Und nun bat man um die Hand seiner Tochter, welch ein Segen, welch ein Glück. Der Gast wurde in allen Ehren empfangen und in die beste Stube geführt.
Während der Hausherr den Freier unterhielt, huschte die ebenfalls aufgeregte Mutter zur Tochter, um ihr die gute Neuigkeit zu überbringen. Syranah schwankte zwischen Schreck und Freude. Und sie wusste, was sie zu tun hatte. Rasch kleidete sie sich in ihre besten Gewänder und eilte in die Küche. Dort warf sie eine Handvoll Kaweeh-Bohnen in den Mörser, schüttete nach kurzem Zaudern noch welche nach und zerstieß und zerrieb dieselben zu einem feinen Pulver. Dann setzte sie Wasser in einem kupfernen Topf aufs Feuer und löffelte das Pulver hinein, als das Wasser zu brodeln begann. Sie ließ das ganze einige Male aufwallen. Dann zog sie den Topf vom Feuer und goss etwas kaltes Wasser darüber. Jetzt musste sie nur noch warten, bis der Kaweeh-Satz nach unten sank.
Vorsichtig füllte sie das Gebräu in eine Tasse vom besten Geschirr und gab mehrere Löffel Süßpulver hinzu, rührte gut um und stellte die Tasse links aufs Tablett. Ebenso richtete sie die Tassen für den Begleiter sowie für ihren Vater her. Dies alles war ein wichtiges Zeremoniell für die zukünftige Braut. Syranah befestigte züchtig den Schleier vor ihrem Gesicht, ergriff dass Tablett und klopfte leise an die Tür.
In der Zwischenzeit hatte der Tuchhändler seinen zukünftigen Schwiegersohn in ein ausführliches Gespräch verwickelt und war mehr als entzückt, als dieser ihm seine Vermögensverhältnisse darlegte. Aber als Golhan zum dritten Mal den Namen Syrianna erwähnte obwohl der Tuchhändler ihn jedes Mal verbesserte, ja. und als er dann noch anfing von Pferden zu reden, da ging dem Vater ein Licht auf.
Dieser junge Mann war eindeutig im falschen Haus gelandet. Aber die Gelegenheit war zu günstig, um sie verstreichen zu lassen.
„Was bekommt eure Tochter denn als Mitgift“ Golhan hielt sich nicht lange mit Schmeicheleien auf.
„Nun, Syri“ der Tuchhändler wich jetzt bewusst auf den Kosenamen aus, „ ich meine, sie muss ja erst einmal der Heirat zustimmen. Ihr seid nicht der erste, der um ihre Hand anhält“ schwindelte er weiter „meine Tochter ist da sehr wählerisch. Bis jetzt hat sie noch einen jeden abgewiesen.“
„Mich wird sie nicht abweisen“ tönte Golhan voller Überzeugung.
Obwohl der Vater ihm innerlich mehr als zustimmte, schüttelte er bedenklich den Kopf.
„Wir werden sehen. Sie ist da etwas eigen. Ich will euch nicht bange machen, aber ich erinnere mich an einen jungen Mann, der ihr zunächst zu gefallen schien, aber als dann die Verträge Tage später zur Unterschrift bereitlagen, hatte sie es sich wieder anders überlegt.“
Er seufzte hörbar.
„Glaubt mir, mein lieber junger Freund. Es ist nicht immer einfach, Vater einer Tochter zu sein.“
„Hmm“ murmelte Golhan mehr zu sich selbst. „Man müsste ihr einfach keine Zeit für neue Überlegungen geben.“ Sein Begleiter neigte sich zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, aber der werdende Bräutigam wehrte lässig ab. Als der andere nicht nachließ mit seinen Einwendungen, schickte er ihn kurzerhand nach draußen, damit er nach dem Pferd sehe.
Kopfschüttelnd verließ der Bedienstete den Raum.
Wenig später klopfte es leise an der Tür und Syranah betrat den Raum. Der Vater stellte die beiden Heiratswilligen einander vor, das heißt, er nannte seine Tochter Syri, den Kosenamen, den er seit Kindertagen nicht mehr für sie verwendet hatte. Sie war erstaunt, aber klug genug um zu wissen, dass der Vater dies nicht grundlos tun würde.
Mit sittsam niedergeschlagenen Augen und einem kleinen Knicks servierte sie die Getränke.
Golhan sah mit Genugtuung, dass sie den Schleier trug. Sie war also doch nicht so wild wie man ihr nachsagte. Seine Mutter würde entzückt sein. Äußerst vorsichtig nippte er an seiner Tasse und ein Strahlen ging über sein breites Gesicht, als er die starke Süße des Kaweehs auf seiner Zunge spürte.
Syranah verbeugte sich leicht vor ihm und verließ den Raum. Ihre Arbeit war getan.
Golhan trank seinen Kaweeh und schien ihn sichtlich bis zum letzten Tropfen zu genießen.
Doch jetzt wollte er wirklich wissen, was die Braut mit in die Ehe brachte.
„Nun, ich kann reinen Gewissens behaupten, dass wohl keine andere so viele und so fein gearbeitete Aussteuertruhen besitzt.“ Das stimmte, schließlich hatte seine Tochter in den letzten 10 Jahren eisern daran gearbeitet.
„Und sonst?“ Golhan machte die wohl überall verständliche Geste, indem er Zeigefinger und Daumen aneinander rieb,
„Ach, was braucht ihr jungen Verliebten schon“ scherzte der Vater
Schon wollte Golhan Einspruch erheben, als der andere auch schon fort fuhr.
„Wie soll ich das sagen, mein Freund. Euer Besuch kam ja nun wirklich mehr als überraschend.“
Dem konnte Golhan nicht widersprechen.
„Das meiste meines Vermögens ist fest angelegt. Es würde sehr lange dauern, bis ich genügend davon flüssig gemacht hätte. Natürlich, wenn euch das Warten nichts ausmacht….“
Ein lauernder Blick traf sein Gegenüber.
Aber der Fisch hing schon an der Angel. Er durfte jetzt nur keinen Fehler machen, wenn er ihn an Land zog. Nicht, dass der fette Brocken im letzten Augenblick noch vom Haken sprang.
Golhan wollte das Risiko des Wartens natürlich nicht auf sich nehmen, aber er bestand auch auf einer anständigen Mitgift. Immerhin galt der Pferdezüchter doch als der reichste Mann im ganzen Orte.
Da machte Syranahs Vater einen Vorschlag. Seine Tochter erhalte zur Hochzeit, so diese zustande käme, einen gewissen Betrag in Münzen, ein paar Pferde und, fuhr er fort, als er das enttäuschte Gesicht des Bräutigams sah, außerdem gebe er es ihm schriftlich, dass sein gesamter Besitz nach seinem Tode auf die Tochter übergehen würde. Sie alleine sollte seine Erbin sein, so solle es im Vertrage stehen.
Damit war Golhan mehr als zufrieden. Die Aussicht, einmal den reichsten Besitz im Umlande sein eigen zu nennen, ließ ihn ganz vergessen, nach den Brüdern seiner Auserwählten zu fragen. Der Ältere ließ auch keine Gelegenheit zum Nachdenken aufkommen. Vielleicht, so meinte er, bevor man sich weitere Gedanken mache, solle man die Braut erst einmal nach ihrem Einverständnis fragen.
Die Mutter, die sich die ganze Zeit nervös im Hintergrund gehalten hatte, machte Anstalten, Syranah zu rufen, aber ihr Mann winkte ab und ging selbst nach draußen. Und während er seiner Tochter noch die letzen Anweisungen gab, suchte drinnen ihr Zukünftiger nach passenden Worten für seine Werbung.
Trotzdem war es ein ziemliches Gestammel, als er ihr gegenüber stand. Doch sie lächelte ihn huldvoll an, flüsterte aber, als es um die Antwort ging, ihrem Vater etwas ins Ohr. Der schien zu überlegen, nickte dann aber verständig.
„Meine Tochter“ hub er an zu sprechen „meine Tochter ist nicht abgeneigt, euch zu erhören.
Sie vertraute mir an, dass sie großes Gefallen an euch finde“
Sein nachfolgendes „Aber“ lies Golhans freudiges Grinsen zu Eis erstarren. „Aber sie fürchtet, ihr könntet es euch später noch einmal anders besinnen und den Vertrag brechen. Ihr müsst wissen“ setzte er in vertraulichem Tonfall hinzu „Sie hat jeden Bewerber bis jetzt abgewiesen bis auf euch und wenn nun i h r den Vertrag auf einmal nicht einhalten würdet, wäre sie das Gespött aller Leute.“
Für Golhan klang das einleuchtend. Er hasste es ebenfalls, wenn die Leute über ihn redeten Aber bei der Höhe der Summe, die im Falle eines Vertragsbruches zu zahle wäre, zuckte er doch sichtlich zusammen.
Natürlich würde der Vater dieselbe Summe zahlen, wenn die Braut vom bestehenden Vertrag zurück trete. Und auch das würde man schriftlich festhalten, beruhigte ihn sein Gegenüber.
Somit waren für unseren jungen Werber alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt und sein Traum stand kurz vor seiner Erfüllung. Er wollte sofort den Vertrag aufsetzen. Der Tuchhändler schlug ihm vor, eine oder zwei Nächte darüber zu schlafen, damit er sich seiner Sache sicher sei. Aber Golhan wollte davon nichts wissen und so schrieben beide Männer alles nieder wie besprochen und besiegelten es durch ihre Unterschrift – wobei Golhan seine zuerst auf Papier setzte.
Die Tinte war kaum trocken, da schickte der Brautvater seine Frau mit den Papieren zum Ortsvorsteher, damit dieser sein Siegel darunter setze. Damit war das Verlöbnis perfekt.
Eine strahlende Syranah kam herein und setzte sich zu Golhan, der nicht weniger strahlte – zumindest bis zu dem Moment, bis seine Braut den Schleier löste.
Der Bräutigam protestierte, die Braut brach in lautes Schluchzen aus, die Schwiegermutter drohte mit einer Ohnmacht und der Brautvater spielte den Empörten.
Er habe sich nie, nicht eine einzige Sekunde lang als Pferdezüchter ausgegeben. Und er habe Golhan nie gerufen. Dieser sei aus freien Stücken in sein Haus getreten und habe um die Hand s e i n e r Tochter gebeten. Woher sollte er denn wissen, dass der Freier nicht wusste, wer deine zukünftige Braut sei. Natürlich, er wolle Golhan zu nichts zwingen….. dieser könne jederzeit vom Vertrag zurück treten.
Golhan, wohl ahnend, dass man ihn sauber gelinkt hatte, sah bald ein, dass es kein zurück mehr für ihn gab. Es war weniger die Summe, die seine Familie bei Vertragbruch zu zahlen hätte, es war vor allem der Spott, dem er landauf, landab ausgesetzt sein würde. Die Geschichte würde an ihm kleben wie Pech und die Chancen, dass seine wirkliche Traumfrau ihn dann noch erhören würde, waren gleich null. So machte er letzten Endes gute Miene zum bösen Spiel und alle außer ihm waren mehr als zufrieden.
_._
Wenig zufrieden mit ihrer Situation war zur selben Zeit Syrianna. Zwei Männer waren ans Ufer getreten. Ein vorsichtiger Blick zeigte dem Mädchen, dass es sich nicht um die zwei vom Vormittag handelte. Ihre Kleidung war von einem Stoff und Schnitt, wie er hier nicht üblich war. Und keiner von ihnen war dick oder trug einen Turban.
Aber schon die nächsten Worte ließen sie erschaudern.
„Was hältst du von einem erfrischenden Bad?“ meinte einer „die Stelle schaut richtig einladend aus.“
Das fehlte noch, dass die beiden sich jetzt auszogen oder sie entdeckten. Syrianna betete zu allen Göttern um Hilfe, sie wolle in Zukunft auch versuchen, sittsam und folgsam zu sein. Anscheinend fand sie Gehör, denn der andere Mann verneinte, meint, sie hätten noch Wichtiges vor und beide verschwanden, wie sie gekommen waren.
Syrianna wartete, bis sie sicher war, dass sie nicht wieder kehrten. Dann streifte sie das nasse Unterkleid ab und das trockene Oberkleid über. So, sie stieß erleichtert die Luft aus - jetzt konnte nichts mehr passieren. Aber war sie auch wirklich unentdeckt geblieben. Zweifel schlichen sich in ihre Gedanken. Der große Blonde hatte so lange in ihre Richtung gestarrt. Zumindest kam es ihr jetzt nachträglich so vor. Eilig trat sie den Heimweg an.
Sie nahm den Weg durch den Garten, um Farla, der Amme nicht in die Arme zu laufen.
Als sie gerade ins Haus schleichen wollte, vernahm sie von der anderen Mauerseite her Stimmen, die sie sofort wieder erkannte.
„Hast du die Beine gesehen?“ Unverhohlene Begeisterung klang da heraus. „und hast du gesehen, wie sie den Kopf hält? Diese Brust und der Rücken…. Ich muss sie besitzen.“
„Ja, sie ist wirklich eine außerordentliche Schönheit, etwas ganz besonderes.“
Syrianna wurde abwechselnd blass und rot. Die Männer hatten sie also doch entdeckt. Am liebsten wäre sie vor Scham in den Boden versunken, aber dann stieg Ärger in ihr hoch.
Was bildeten sich die beiden denn ein, so von ihr zu reden. Jeder anständige Mann hätte
so getan als hätte er nichts bemerkt. Zitternd flüchtete sie ihr Zimmer, feuerte das nasse Unterkleid in eine Ecke und warf sich aufs Bett. Mussten sich auch unbedingt die beiden Fremden am Fluss rumtreiben. Die hatten da gar nichts zu suchen.
Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Geschwätz und Gekicher verrieten, dass es die Mägde waren.
Syrianna hatte in der Eile die Tür nicht richtig verschlossen und konnte gar nicht anders als ungewollt deren Unterhaltung zu lauschen. Da sie sich alleine glaubten, waren die zwei Frauen auch nicht gerade leise.
„… und dann ist es vorbei mit dem herumstreunen. Da wird der Zukünftige schon dafür sorgen.“ lachte die eine.
„Farla ist auch ganz aus dem Häuschen. In dieser Hochstimmung kennt man sie sonst gar nicht. Ich gönn ihr die Freude, sie hat ja wahrlich Kummer genug gehabt.“
„Er soll ja so eine gute Partie sein. Und von ganz weit her….Die Halwei hat ihr versprochen, dass er heute noch vorbei schaut und vorspricht.“
„Ja, er soll ja ganz versessen nach der jungen Herrin sein…. Es wird ja auch Zeit für sie…. “
Die Schritte entfernten sich, nur das Gekicher klang noch nach.
Syrianna lag wie erstarrt. Die gutgelaunte Farla. Die Halwei, die sie so überaus freundlich gegrüßt hatte. Die zwei Männer vor dem Haus, von denen einer sie unbedingt besitzen wollte.
Es passte alles zusammen. Man wollte sie verheiraten. Hatte nicht ihr Bruder heute auch so eine Andeutung von einer Hochzeit gemacht?
Sie unterdrückte einen lauten Wutschrei und trommelte stattdessen mit ihren Fäusten auf das Kissen. Plötzlich hielt sie inne. Die letzte Entscheidung zum Heiraten lag immer noch bei ihr. Ihr Vater, da war sie sich sicher, würde sie niemals in eine Ehe zwingen. Und wie ihre Entscheidung aussah, das wusste sie bereits. Trotzig reckte sie das Kinn. Sie war Syrianna und sie würde auf k e i n e n Fall heiraten, jawohl.
Sorgfältig durchsuchte sie ihre Garderobe und wählte schließlich ein Kleid, von dem sie wusste dass es ihr sehr gut stand. Dann rief sie nach der alten Kinderfrau und bat sie, ihr die Haare zu richten. Farla tat dies nur zu gern. Ihr Sorgenkind schien endlich ihre frauliche Seite entdeckt zu haben, und das auch noch an so einem bedeutenden Tag. Sie war sich ganz sicher, dass ihre Ziehtochter Gefallen an dem jungen Mann finden würde, von dem die Halwei geradezu geschwärmt hatte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der erwartete Besuch eintraf.
.Es dauerte auch wirklich nicht mehr lange. Syrianna hörte, wie ihr Vater die Gäste herzlich willkommen hießen. Und sie erkannte auch deren Stimmen wieder - es waren eindeutig die Männer vom Fluss.
Syrianna atmete tief durch und ging dann schnurstracks in die Küche.
„Ich mache den Kaweeh“ bedeutete sie der Magd und schickte sie weg. Sie rührte das siedende Gebräu auf dem Herd, ließ den dicken Satz zu Bodensinken und füllte dann die Tassen für den Vater, die Brüder und für die Besucher. In jede gab sie einen großen Löffel Süßpulver, nur in die letzte nahm sie stattdessen Salz und rührte gründlich um.
Sie platzierte diese Tasse auf die linke Seite vom Tablett, stellte die übrigen dazu und trug alles nach draußen. In der Halle hörte sie die Männer lachen. Na, wenigstens einem von ihnen würde dies bald vergehen. Sie klopfte kurz an der Tür bevor sie öffnete und betrat mit dem vollen Tablett den Raum.
Alle Augen wandten sich ihr zu und nicht nur die Besucher zeigten sich überrascht.
„Ich bringe euch den Kaweeh“ sagte sie und machte sich ans verteilen.
Die beiden Besucher waren aufgesprungen und verneigten sich höflich.
„Meine Tochter Syrianna“ verkündete ihr Vater mit hörbarem Stolz.
„Gwendolf zu Drachenfels“ Stellte der Blonde sich vor „und dies hier ist mein Freund und Vertrauter Baron Cyrus von Albion.“
So, so, Gwendolf hieß dieser Mensch also, der sie unbedingt besitzen wollte. Mit strahlendem Lächeln reichte ihm Syrianna die Tasse aus der linken Ecke.
Er nahm sie ebenso lächelnd entgegen.
„Dies ist das erste Mal, dass ich dieses berühmte Getränk probiere“ gestand er und nahm einen vorsichten Schluck. Es zuckte kurz in seinem Gesicht. Das war zunächst die einzige Reaktion. Unauffällig sah er hinüber, wie die anderen tranken. Sie schienen dieses widerliche Zeug tatsächlich zu genießen. Ja, sogar sein Freund Cyrus leckte sich anerkennend die Lippen. Gwendolf starrte auf die Tasse mit der ekligen braunen Brühe und unterdrückte mit Mühe ein Schütteln.
„Und? Wie schmeckt euch unser Kaweeh?“ wollte der Gastgeber neugierig wissen.
„Äh …. Ungewöhnlich …. Aber durchaus trinkbar.“ Um nichts in der Welt wollte Gwendolf den Hausherrn verärgern. Er nahm allen Mut zusammen und stürzte den restlichen Tasseninhalt in einem Zug hinunter. Der Husten ließ sich nicht unterdrücken. Hastig griff Gwendolf nach einem vollen Wasserglas und leerte es in einem Zug.
„Verzeihung, ich hab was in die falsche Kehle bekommen.“ Seine Stimme klang heiser und seine Augen tränten.
Sein Freund Cyrus klopfte ihm wohlwollend den Rücken. Syrianna genoss das ganze mit Genugtuung.
Vor der Tür wurde es laut, dann stürmte ihr ältester Bruder Atran herein und auf die beiden Fremden zu.
Herzlich umarmten sie sich.
„Ich bin leider aufgehalten worden. Aber wie ich sehe, habt ihr den Weg auch alleine gefunden.“ Dann wandte er sich seiner Schwester zu und schwenkte sie übermütig herum.
„Syri, du hast dich ja heute besonders hübsch gemacht. Ich hätte dich beinahe nicht erkannt.“
Er legte den Arm um ihre Schultern und führte sie zu den Besuchern zurück.
„Diese beiden hier musst du besonders gut behandeln. Das sind sehr gute Freunde von mir. Ich habe ihnen so viel von unseren Pferden vorgeschwärmt, dass sie die halbe Herde kaufen wollen.“
„Na ja, vielleicht nicht ganz so viele“ wehrte Gwendolf lachend ab.
Seine Stimme klang immer noch rau und er trank bereits das dritte Glas Wasser.
„Nun, an mir soll es nicht liegen“ schaltete sich der Vater ein. „Einen so guten Kunden bekommt man nicht alle Tage.“
Syrianna erstarrte. Die Männer waren n i c h t ihretwegen gekommen? Sie wollten Pferde kaufen? War das wahr?
Aber es kam noch schlimmer. Altan brachte noch weitere Neuigkeiten mit.
„Hiran, der Tuchhändler, hat seine Tochter endlich an den Mann gebracht“ berichtete er.
„Zeit genug wurde es ja.“
„Sicher ist der Löffel im Kaweeh stecken geblieben“ lästerte ein anderer Bruder
„Ich möchte nicht wissen, wie viel Süßpulver sie ihm hinein gegeben hat.“
Die Jungen lachten, auch der Vater konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Nur die Besucher schauten etwas begriffsstutzig drein.
„So ist es Brauch bei uns wenn ein Mann um ein Mädchen freit. Vor dem offiziellen Antrag
serviert sie den Kaweeh. Dann weiß er gleich, ob es überhaupt Sinn macht, um die Hand der Angebeteten anzuhalten. Und erspart sich eine Abfuhr. “
Die beiden Männer verstanden immer noch nicht.
„Nun ja, wenn das Mädchen einverstanden ist, ist der Kaweeh süß. Ist sie sich noch unschlüssig, serviert sie ihm den Kaweeh ungesüßt. Dann ist wenigstens noch Hoffnung. Aber wenn er sich zum Teufel scheren soll dann…“ Syriannas jüngster Bruder wollte sich schier ausschütteln vor lachen. „… dann….“ Er prustete erneut. Aber Gwendolf hatte ihn auch so verstanden.
Sein Blick suchte Syrianna. Das vorher so selbstbewusste Mädchen starrte ihn blass und ängstlich an. Jetzt musste er ein Grinsen unterdrücken. Sie hatte ihn also für einen Freier gehalten……
Syrianna stand immer noch wie versteinert. Dieser Mann war ein Freund ihres Bruders, ein wichtiger Kunde. Ein Wort von ihm, und sie würde in diesem Haus keinen Frieden mehr finden. Ihre Brüder würden sie bis an ihr Lebensende mit ihrem Spott verfolgen. Und Vater, der wäre mehr als verärgert darüber, wie sie einen so wichtigen Gast behandelte. Der gute Ruf der Gastsfreundschaft ihrer Familie – sie hatte ihn ruiniert. Das würde Vater ihr nie verzeihen.
Gwendolf sah natürlich ihre Not und ahnte, was in ihr vorging, aber etwas Strafe musste sein. Sollte sie ruhig ein bisschen zappeln. Ohne sie weiter eines Blickes zu würdigen, wandte er sich wieder den Männern zu. Eigentlich schade, dass er nicht ihr Geschmack war. Er liebte temperamentvolle Frauen.
„Cyrus und ich haben uns unten auf den Weiden schon mal die Einjährigen angeschaut.
Da ist Rotfuchsstute dabei, das ist wirklich ein Prachttier. Bei der stimmt einfach alles, die Beine, der Brustkorb, der Rücken, der kleine zierliche Kopf, eben einfach alles. Die möchte ich unbedingt haben für meine Zucht.“
Das war zuviel für Syrianna. Die beiden Männer hatten gar nicht über sie gesprochen – die hatten über eine Stute gefachsimpelt. Mit einem erstickten Aufschrei griff sie nach dem leeren Tablett und flüchtete fast panisch aus dem Raum.
In der Küche erwartete sie ebenfalls ein Bild des Jammers. Dort saßen eine betrübt dreinblickende Amme und eine den Tränen nahe Halwei.
Als beide ihrer ansichtig wurden, warf die Halwei theatralisch die die Arme hoch und fing zu jammern an.
„O, mein armes Kind, mein armes Kind.“ Und die Amme nickte trübsinnig dazu.
Wussten die beiden schon, was sie getan hatte?
„Ach, ich hatte so einen exzellenten Freier für dich. So was von wohlhabend. Und ein so feiner Mensch.,“ die Halwei schniefte voller Tragik. „Er wollte gleich zu euch eilen ….und jetzt hat er um die Hand von der Tochter vom Tuchhändler angehalten. Der Vertrag ist schon unterschrieben …. schnief …. Und nicht e i n Geldstück werde ich dafür erhalten.“
„Also von mir hast du ebenfalls nichts zu erwarten“ warf sich die Amme in die Brust. „Und meine Anzahlung will ich auch zurück.“
Aus irgendeinem Grund brachte dieses Gespräch bei Syrianna das Fass zum überlaufen. Sie brach in lautes Schluchzen aus und rannte in ihr Zimmer, zwei verblüffte alte Weiber hinter sich zurücklassend.
„Bei allen Göttern, “stammelte die alte Farla „Ich hätte nie gedacht, dass das Kind so enttäuscht sein würde. Sie hat so gar nichts davon erzählt, wie sehr sie sich einen Mann wünscht.“ Und die Halwei, die gleich wieder Morgenluft witterte, meinte hoffnungsvoll: „Vielleicht sollten wir es doch noch einmal probieren – ich wüsste da auch jemand
passenden ……. „
Und schon steckten beide verschwörerisch die Köpfe zusammen.
In der Nacht wälzte Syrianna sich lange ruhelos auf dem Lager hin und her. Deshalb wachte sie, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten, am nächsten Morgen erst spät auf. Unten saßen alle schon beim Frühstück. Als Tochter des Hauses durfte sie nicht fernbleiben, auch wenn sie sich lieber irgendwo verkrochen hätte.
Alle waren in fast unerträglich guter Laune. Syrianna setze sich schweigsam dazu.
„Möchtest du Kaweeh?“ Altan schob ihr einen Becher herüber und wandte sich dann an Gwendolf.
„Syri macht den besten Kaweeh weit und breit, aber der von Farla ist auch genießbar.“
„In der Tat“ Gwendolf blieb dabei todernst „sogar i c h kann den Unterschied schmecken“.
„Syri, wir haben schon auf dich gewartet.“ Leichter Tadel lag im Tonfall des Vaters
„Ich möchte, dass du uns zu den Herden begleitest. Wir werden eine Auswahl an Tieren heraus treiben und du kannst unseren Gästen die Fragen dazu beantworten. Syri hat nämlich den besten Pferdeverstand von uns allen“ erklärte er seinen Besucher.
Dann fügte er noch versöhnlich hinzu „Sei unbesorgt, ich habe dem Grafen schon gesagt, das Gayla’s Stutfohlen nicht verkäuflich ist. Du kannst also wieder lachen.“
Er glaubte also, das die Angst um den Verlust i h r e s Pferdes der Grund ihres seltsamen Benehmens wäre. Der Graf hatte sie nicht verraten. Und ihr Herz fing plötzlich ganz komisch an zu pochen.
Sie nutzten einen Teil der Strecke für ein kleines Wettrennen, das Syrianna nur ganz knapp verlor. Aber auch die beiden Besucher boten ein gutes Bild im Sattel.
Bald waren sie bei der Herde angekommen.
Während die anderen damit beschäftigt waren, bestimmte Tiere auszusondern und in die Umzäunung zu treiben, fasste Syrianna sich ein Herz und lenkte ihre Stute an die Seite neben Gwendolf, der vom Pferderücken aus interessiert ihren Brüdern bei der Arbeit zusah.
Sie hüstelte verlegen aber doch laut genug, dass er sich zu ihr umdrehte.
„Ich … ich …. möchte mich entschuldigen, Herr. Es … es war …es tut mir leid.“
Sie sah ihn dabei so zerknirscht an, dass Gwendolf sie am liebsten tröstend in die Arme genommen hätte.
„Ja … und danke, dass Ihr den anderen nichts verraten habt.“
„Nun, dann wollen wir dies auch weiterhin als unser kleines Geheimnis hüten.“
Gwendolf grinste sie an wie ein Schuljunge und bot ihr seine Hand. „Einverstanden?“
Erleichtert schlug Syrianna ein. Und auf einmal war es ein wunderbarer Tag.
Sie erzählte ihm alles über die einzelnen Pferde, die ihr Vater vorführte, wusste über deren Stärken und Charaktere Bescheid und verschwieg auch nicht eventuelle Macken. Gwendolf merkte bald, dass ihr Wissen wirklich fundiert und nicht ein Verkaufstrick ihres Vaters war.
Dieses Mädchen erstaunte ihn immer mehr. Auf jede Frage, die er stellte, wusste sie Antwort, ohne Zögern und argumentierte ohne jegliche Koketterie.
Die Tiere, die in die engere Wahl kamen, wurden mit Farbe markiert und später in eine der Umzäunungen in Hausnähe getrieben. Gwendolf wollte sich auch noch unter den Einjährigen umschauen sowie bei den älteren, voll ausgebildeten Rössern. Aber zunächst packten Syrianna und ihre Brüder die Satteltaschen aus und sie picknickten abseits der Herde an einem Wasserloch, verschwitzt und Staub bedeckt, wie sie alle waren. Und da war es, dass der Vater die beiden Besucher einlud, noch länger als Gäste in seinem Haus zu verweilen, was nicht nur von Gwendolf und Cyrus dankend angenommen wurde.
So kam es, was ihr, werte Leser, in eurer Weisheit sicher schon voraus gesehen habt.
Der Kaweeh, den Syrianna Gwendolf servierte, wurde im Laufe der nächsten Wochen immer süßer und die Blicke, die sie miteinander tauschten, immer inniger. Als die beiden nach einem gemeinsamen Ausritt strahlend zurückkamen, war keiner in der Familie mehr überrascht, als Gwendolf von Drachenfels am Abend in aller Form um die Hand Syriannas anhielt.
Da Gwendolf die Heimreise nicht länger aufschieben konnte, und weder ihm noch Syrianna der Sinn nach einer langen Verlobungszeit stand, wurde bald darauf die Hochzeit gefeiert. Syriannas Vater bestand darauf, das Fest auszurichten und es war so großartig und gewaltig, dass die Leute sich noch nach Jahren davon erzählten.
Zwar nahm Syrianna nicht viele Truhen voller Aussteuer mit in ihre neue Heimat, aber jede Menge Pferde.
In Drachenfels eroberte Syrianna sehr schnell die Herzen der Menschen. Gemeinsam mit
Cyrus von Albion gründete sie das erste Gestüt im Lande, welches sie selbst mit Zustimmung ihres Gatten und mit großem Erfolg leitete.
Außer den Pferden führte sie auch den Kaweeh ein, über dessen Geschmack man in der Bevölkerung jedoch unterschiedlicher Meinung war.
Gwendolf von Drachenfels jedenfalls liebte dieses schwarze Gebräu. Es wird nur behauptet, dass er es jedes Mal sehr sehr vorsichtig kostete, wenn er seiner Frau vorher Anlass zum Ärger geliefert hatte.
- Aus der Feder von Ela von Salthara -