Die Legende vom Smaragdsee
Wenn man von der Hauptstadt Genova lange genug in nordwestlicher Richtung wandert, trifft man auf eine wahre Sehenswürdigkeit Bolkheims: den Smaragdsee.
Seinen Namen hat sich dieses große Gewässer wohl verdient, denn wenn die Sonne ihre Strahlen auf die Wasseroberfläche wirft, so schimmert der ganze See in einem leuchtenden Grün - grün wie die Farbe des Smaragds.
Es ist ein schöner See mit teilweise breiten Schilfgürteln, in denen unzählige Wasservögel hausen, kleine flache Buchten, die sich im Sommer in schwimmenden Gärten von Seerosen verwandeln. Die gelbe Wasserlilie ist hier ebenso zuhause wie Scharen von Libellen - geschickte Flugkünstler, deren Flügel im hellen Sonnenlicht Diamantengleich funkeln und glitzern.
Zur Sommerwende, wenn die heißen Tage die Luft zum sirren bringen, hört man oft das Gelächter von Kindern von den Uferzonen erschallen, sich fröhlich im Wasser tummelnd.
In den Abenden rudern Fischer in ihren Booten hinaus, um ihre Netzte auszuwerfen.
Im Herbst, wenn die Bäume der nahen Wälder in den rauen Winden ächzen und stöhnen, wenn ihre Kronen sich mit allen Gold- und Rottönen schmücken bevor die Blätter wirbelnd mit dem Stürmen auf die Reise gehen, dann erfüllt ein seltsamer Singsang die Lüfte und die Barrettvögel aus dem Norden nutzen den See als Rastplatz auf ihrem Flug zum Meer.
So groß ist der See, dass er dem eisigen Winter trotzt und seine Oberfläche offen bleibt.
Aber der Atem des Frostes verfängt sich in den Rispen des Schilfes und schenkt ihm für kurze Zeit eine besondere Schönheit, die in der Sonne gleißt und glitzert, so filigran und einzigartig, wie es wohl keines Menschen Hand zu Stande bringen kann.
An diesen kalten Winterabenden versammeln sich die Menschen seit alters her in den Spinnstuben. Und während das Weibsvolk näht, webt und spinnt, die Mannsleut schnitzen und Körbe flechten, wird zur Kurzweil so manches Liedlein gesungen und vor allem so manche alte Geschichte erzählt. Und dann darf sie auf keinen Fall fehlen – die Legende vom Smaragdsee.
Vor langer langer langer Zeit lebte einst ein edles Fräulein in einem Dorfe am Rande des Sees, der damals nur die Farbe des Himmels widerspiegelte sowie es jedes andere Gewässer auch tat. Das Fräulein soll von großer Schönheit gewesen sein, so dass es viele Männer gab, die um ihre Hand anhielten, als sie das heiratsfähige Alter erreichte. Aber keiner konnte ihr Herz rühren, denn keiner der Bewerber schien ihr reich genug. Sie liebte schöne Kleider und jede Art von Schmuck und Zierrat aus Gold und Edelsteinen. Ganz besonders aber liebte sie Smaragde, in deren grünes Farbgefunkel sie nahezu vernarrt war. Und von ihrem zukünftigen Gemahl erwartete sie, dass er ihr all das bot.
Eines Abends, als sie im Garten saß und zusah, wie die Sonne im See zu versinken schien und dabei alles in leuchtendes Purpur tauchte, stand plötzlich ein junger Mann vor ihr. Sie erschrak zunächst fürchterlich, denn sie hatte sein Kommen nicht bemerkt und schon griff ihre Hand nach der kleinen Schelle neben ihr, um jemanden herbei zu rufen. Doch da sank der Jüngling vor ihr auf die Knie und entschuldigte sich in aller Form für sein Eindringen. Ihre Schönheit, hub er zu sprechen an, ihre Schönheit habe es ihm so angetan, dass er nicht anders konnte und ihr seine Liebe gestehen musste.
Nun, diese Art von Worten waren unserer Dame keineswegs neu, aber sie hörte sie immer wieder gern. Verstohlen musterte sie den vor ihr Knienden. Er war bis auf seine Beinkleider nackt und im Licht der untergehenden Sonne hatten seine nassen Haare einen grünlichen Schimmer. Nicht nur die Haare waren nass, stellte sie etwas schockiert und auch gleichzeitig amüsiert fest. Dieser Kerl musste durch den See geschwommen sein, nur um zu ihr vordringen zu können. Irgendwie fühlte sie sich geschmeichelt. Bevor sie aber etwas sagen konnte, nestelte der Fremde ein muschelförmiges Kästchen von der Kette, die er um den Hals trug und öffnete es. Es barg einen wunderschönen Ring mit dem größten Smaragd, der ihr je unter die Augen gekommen war. Ihr stockte schier der Atem.
Ihr Verehrer erhob sich, verneigte sich kurz und bot ihr den Ring dar.
„Ich habe vernommen, edles Fräulein, das ihr Gefallen an solch Steinzeug findet. So bitte ich euch, nehmt diesen Ring an als eine kleine Aufmerksamkeit von mir, als einen Tribut an eure Schönheit und erlaubt mir, dass ich euch wieder besuchen darf. Dann werde ich um euch werben wie es sich geziemet nach alter Väter Sitte.“
Das Mädchen konnte gar nicht anders, als den Ring überzustreifen. Er passte, wie für sie gemacht. Sie drehte die Hand, bestaunte das Kleinod und überhörte beinahe die bange Frage des Jünglings: “Darf ich wiederkehren?“
Natürlich erhielt er die Erlaubnis dazu und war daraufhin genauso schnell verschwunden wie er gekommen war.
Die Tage vergingen. Ungeduldig wartete das Mädchen, dass der neue Freier an die Tür des Hauses klopfen würde. Sicher kam er dann nicht mit leeren Händen und ein Blick auf den Smaragd an ihrer Hand ließ ihr Herz dabei höher schlagen. Und wirklich, eines Abends kam ein Boot über den See und legte unten am Ufersteg an. Fast hätte sie ihren Bewunderer gar nicht wieder erkannt, so hatte er sich verändert. Der Mann musste von weit gekommen her sein, mutmaßte sie, denn seine Kleidung erschien ihr mehr als kurios. Er trug ein schilfgrünes Gewand mit Muschelknöpfen und Muscheln waren auch eingeflochten in sein Haar. Seine Haut war fast weiß, so als käme er nur wenig mit der Sonne in Berührung. Das war ihr bei der ersten Begegnung gar nicht aufgefallen. Ein eigenartiger Geruch machte sich breit. Sie sog diskret die Luft durch die Nase – irgendwas roch hier eindeutig feucht, fast modrig. Die Mägde hatten anscheinend schlampig saubergemacht. Sie würde sie später zur Rechenschaft ziehen.
Ihr Besucher überreichte ihr einen großen Strauß aus Sumpflilien und Seerosen, sehr originell, wie sie in dem Augenblick empfand. Sonst hatte man ihr zu solchem Anlass stets nur Rosen geschenkt.
„Ich bin L’lylhyavir, Herr vom See“ Er verbeugte sich vor ihrem Vater, dessen altersschwache Augen schon lange ihre Schärfe verloren hatten. „Und ich möchte hiermit in aller Form um die Hand eurer Tochter anhalten.“
Der Vater, der schon viele Freier seiner Tochter kommen und gehen gesehen hatte, verwies, nicht unhöflich, dass die Entscheidung allein bei seiner Tochter lag. Und so wandte sich L’lylhyavir seiner Auserwählten zu, sank vor ihr auf die Knie und bat sie, seine Frau zu werden. Er hatte eine kunstvoll geflochtene Schatulle mitgebracht und öffnete sie nun vor der Jungfer.
Diesen Schmuck überreiche er ihr, ein Zeichen seiner Liebe, damit sie denselben an ihrem Hochzeitstag trage.
Das Fräulein stieß einen entzückten Schrei aus und griff nach dem Kästchen. Welch eine Pracht. Da lagen ein wundervoller Armreif, traumhaft schöne Ohrgehänge, und ein Kollier, wie man kein zweites wohl jemals gesehen hat. Das Allerschönste jedoch war ein Diadem, welches wie der andere Schmuck aus den erlesensten Smaragden wahrlich kunstvoll gearbeitet war. Steine, ein jeder einzelne von so makelloser Schönheit, dass es dem Mädchen schier den Atem raubte.
Schon setze es an, um sein Jawort zugeben. In diesem Moment vergoss eine der Mägde fast einen ganzen Krug Wein über ihr teures Kleid. Das Edelfräulein war zunächst etwas fassungslos, dann schlug sie der Magd ins Gesicht, entschuldigte sich bei ihrem Gast, raffte die nassen Röcke mit beiden Händen und hastete aus dem Raum. Die unglückselige Magd folgte ihr.
Scheu klopfte sie an die Tür des Zimmers, hinter der ihre Herrin die Zofe wegen eines neuen Kleides scheuchte.
„Du…“
Die Magd wich geschickt einem Wurfgeschoss aus und trat mutig näher.
„Herrin, ihr könnt ihn nicht heiraten.“
„Du alberne Gans, was erdreistest du dich. Natürlich werde ich seinen Antrag annehmen.
So eine Unverschämtheit. Du bist auf der Stelle entlassen. Ich will dich hier nie mehr wieder sehen.“
„Aber …“ die Magd nahm allen Mut zusammen. „Herrin, ihr m ü s s t mich anhören. Er ist kein menschliches Wesen – er ist ein W a s s e r m a n n.“ Die letzten Worte schrie sie fast
„Er ist w a s?“
„Ein Wassermann, könnt ihr das denn nicht erkennen?“
Und plötzlich fiel es dem Fräulein wie Schuppen von den Augen. Die bleiche Haut, die Muscheln …..natürlich, und dieser Geruch … die Magd hatte eindeutig recht. Das ihr das selber nicht aufgefallen war.
Natürlich würde sie keinen Wassermann heiraten, aber sie wollte auch auf keinen Fall
auf diesen einzigartigen Schmuck verzichten. Sie musste sich was einfallen lassen.
„Dummes Ding“ schalt die Herrin „hättest du nicht schneller handeln können? Was mach ich denn jetzt? Wenn ich ablehne, ist er beleidigt. Wer weiß, was beleidigte Wassermänner alles anstellen vor Wut – und diesen einzigartigen Schmuck muss ich ihm auch zurückgeben.“
Die Magd war nicht auf den Kopf gefallen
„Ihr müsstet eine Bedingung dran knüpfen, eine, die er niemals erfüllen kann. Vielleicht, dass er über glühende Kohlen geht oder ähnliches.“
Die Jungfer schüttelte den Kopf „Das ist mir zu unsicher. Woher soll ich wissen, was Wassermänner können und was nicht.“
Doch dann hatte sie eine Idee.
„Kommt her“ befahl sie der Magd und der Zofe. „kommt her und hört zu.“
Und dann kniete sie nieder, hob die Hand und rief die Götter an.
Wenig später erschien sie lächelnd vor dem geduldig wartenden Herrn des Sees und entschuldigte sich wortreich für den kleinen Zwischenfall.
„Habt ihr eine Antwort für mich?“ wollte dieser wissen.
Sie reichte ihm huldvoll die Hand, bemüht, nicht vor seiner Berührung zu schaudern, jetzt, da sie seine wahre Identität kannte.
„Oh, werter Herr. Euer Antrag berührt mich zutiefst. Wie gerne würde ich euch erhören, aber …. ach, es ist schrecklich. Ich komme mir so dumm vor, euch davon berichten zu müssen. Einst habe ich vor Zeugen einen Eid abgelegt bei den Göttern, töricht wie ich war. Oh, könnte ich es nur rückgängig machen.“
L’lylhyavir war sichtlich enttäuscht.
„Was ist das für ein Eid.“ Wollte er dann wissen
„Nun“ das Edelfräulein tat sehr verschämt“ ich schwor, dass ich nur einen Gatten erwählen würde, der mir alle meine zukünftigen Räume mit Smaragden auslegen würde“ Sie warf ihm unter den Wimpern einen lauernden Seitenblick zu.
„Oh, wie ich meine Torheit jetzt verwünsche – ich war so dumm. Aber, edler Herr, auch wenn es mich schmerzt – ein Eid ist ein Eid. So habe ich mich selbst zur Ehelosigkeit verdammt.“
Mit einer theatralischen Bewegung tupfte sie ihre Augen mit ihrem Spitzentuch.
Ein Hauch von Trauer flog über das Gesicht des Wassermannes.
„Würdet ihr auf mich warten, bis ich euer neues Heim zu eurer Zufriedenheit hergerichtet habe? Es wird ein Weilchen dauern, fürchte ich.“
L’lylhyavir verneigte sich leicht vor ihr und sah sie dann fragend an.
Die Jungfer klatschte vor Freude in die Hände „Ja, ich will. Und bitte, beeilt euch.“
„Dann sind wir jetzt also verlobt“ stellte der Herr vom See fest, überreichte seiner Braut den heiß ersehnten Schmuck, küsste ihr zum Abschied die Hand und verabschiedete sich mir einer formvollendeten Verbeugung.
„Ich kehre wieder an unserem Hochzeitstag.“
Wieder alleine, schalt der Vater seine Tochter ob des Unsinns, den sie da von sich gegeben hatte. Aber diese verteidigte sich.
„Ich habe diesen Schwur tatsächlich geleistet, wenn auch erst vor wenigen Augenblicken.
Die Magd und die Zofe sind meine Zeugen.“
„Aber wozu das ganze? Du hättest einfach nein sagen können.“
„Und ihm den schönen Schmuck zurück geben? Niemals.“
Sie stapfte trotzig mit dem Fuß auf.
Der Vater schüttelte bedenklich den Kopf.
„Und wenn er deinem Wunsch nachkommt? Was dann?“
Die Tochter lachte höhnisch
„Wie denn. Der See ist groß, riesig groß. Und Smaragde wachsen nicht im Schlamm oder wie Seerosen im Teich. Selbst wenn er es versucht, so wird es Jahre dauern, hunderte von Jahren wenn nicht tausende. In der Zeit habe einen passenden Gemahl weit weg von hier gefunden, irgendwann mein Leben auf Erden ganz normal beendet und mich dafür noch viele viele Jahre an dem herrlichen Schmuck erfreut.“
Sie presste die Schatulle fest an die Brust und verließ den Raum, einen sehr bekümmert dreinblickenden Vater zurücklassend.
In den ersten Wochen waren sowohl das Fräulein wie auch die restlichen Dorfbewohner sehr leicht zu erschrecken. Ein Schatten, ein Windstoß genügte schon, um sie zusammen zucken zu lassen. Doch alles blieb ruhig. Das Leben schien seinen gewohnten Gang zu gehen. Viele Monde lang geschah nichts Aufregendes.
Nur als beim nächsten Maientanz ein übermütiger Jüngling der Jungfer einen Kuss raubte und am nächsten Morgen tot im Schilf aufgefunden wurde kam vereinzelnd das erste Gerede auf. Der Bursche galt als einer der besten Schwimmer des Dorfes. Doch bald tat man seinen Tod als Unfall ab und der Vorfall verriet in Vergessenheit.
Man erinnerte sich schnell wieder daran, als ein fremder Edelmann dem Fräulein seine Aufwartung machte, und sie anscheinend Gefallen an ihm fand. Die Leute erzählten später, er habe im Garten unter ihrem Fenster ein feuriges Liebeslied gesungen, das dann jäh abbrach. Am nächsten Morgen zogen ihn die Fischer mit ihren Netzen aus dem See. Sein Mund war mit Schlamm gefüllt und seine schmeichelnde Stimme für immer verstummt.
Dann fing der See an, sich zu verändern. Langsam, aber stetig. Zuerst blieben die Fische aus. Die Fischer fanden keine Erklärung dafür, aber Tatsache war, ihre Netzte blieben leer. Den angrenzenden Flussfischern ging es nicht anders, nur, dass manches ihrer Netze auch noch zerrissen war. Sodann begann sich, unmerklich zuerst, aber im Laufe der Zeit immer deutlicher, die Farbe des Sees zu wandeln. Es war, als käme aus seinen Tiefen ein grünlich leuchtender Schimmer, der immer intensiver zu werden schien. Und keine 5 Jahre nach der Verlobung des Edelfräuleins war es nicht mehr zu leugnen – der See nahm eine smaragdgrüne Färbung an.
Es war allen ein Rätsel. Wie konnte das sein? Zunächst glaubte man, Algen oder andere Wasserpflanzen seien dafür verantwortlich, aber dem war nicht so.
Wenige Jahre nach dem geschlossenen Verlöbnis, weniger als zehn,. brillierte der See in sattem smaragdgrün, sowie wir ihn heute kennen. Wie hatte der Herr vom See dies schaffen können?
Fahrende Händler, die weit im Land herumkamen, wussten zu berichten, dass der Wassermann durch unterirdische Verbindungen zum Spiegelsee tief in den Zwergenminen vorgedrungen war und die Zwerge dort aufgefordert hatte, gezielt nach Smaragden zu graben und sie ihm unverzüglich zu schicken. Andernfalls würde er über den See ihre Minen fluten. Und da natürlich die Minenarbeiter murrten und protestierten, gab er ihnen auf der Stelle eine kleine Kostprobe seiner Macht, welche die Widersacher sofort in die Knie zwang. Aber die Edelsteinausbeute der nördlichen Minen hätte seinen Bedarf nie und nimmer decken können.
Konnte er zaubern? Nein, diese Art von Zauber beherrscht ein Wassermann nicht. Aber sie sind eine große und zahlreiche Familie, deren Herrschaft vom kleinsten Tümpel bis zu den Weltmeeren reicht. Und so hatte L’lylhyavir um Hilfe gebeten und dieser Hilferuf wurde von See zu See und von Fluss zu Fluss getragen bis hinein in die Ozeane. Und überall in den Minen, weit über die ganze Welt verteilt, wurden die Besitzer und Arbeiter angehalten, Smaragde zu liefern. Sie wurden vor Ort ins Wasser geschüttet, wo die Steine von Fischen aufgenommen und abschnittsweise durch Meere und Flüsse transportiert wurden, bis sie ihr Ziel erreichten.
Ihr zweifelt? O glaubt mir, Wasser hat eine große Überzeugungskraft. Fragt den Wüstenbewohner, was er alles dafür tun würde, damit seine Brunnen nicht austrocknen oder die Leute, die am Wasser wohnen, damit ihre Äcker, Weiden und Häuser nicht überflutet werden. Fragt die Leute in den Bergen, was sie bereit wären zu geben, nur um sicher zu sein, dass keine Felsen unterspült und keine Schlammlawinen ihre Dörfer unter sich begraben. Glaubt mir, Wasser besitzt wahrlich eine große Überzeugungskraft.
Aber zurück zu unserem Edelfräulein. Die Vorfälle der letzten Jahre hatte ihr Antlitz etwas blasser gefärbt, aber sie war immer noch von außerordentlicher Schönheit. Wenn sie beunruhigt war über die seltsamen Vorgänge, so zeigte sie es nicht, im Gegenteil. Sie tat alle Gerüchte um den See als absolute Hirngespinste ab. Aber sie irrte.
Und als an einem schönen Abend die Sonne sich zum Untergehen bereit machte, stand der Herr des Sees vor dem Tor des Hauses und begehrte Einlass. Er war gekommen, seine Braut heim zu holen, denn er hatte, wie er versicherte, alles so hergerichtet wie gewünscht. Und jetzt solle auch sie zu ihrem Wort stehen.
Aber das Fräulein hatte nicht vor, dieser Aufforderung folge zu leisen. Sie erbat einen Aufschub, schließlich müsse sie sich gebührend von ihrer Familie, von Freunden und Bekannten verabschieden. Man sah L’lylhyavir an, dass er nicht glücklich darüber war, aber er gab ihr eine Frist von drei Tagen, um ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.
Kaum war er wieder verschwunden, packte das Mädchen ihre Sachen, ja, sie schmiss sie direkt in die Kisten und Truhen, ließ die Kutsche vorfahren und bereitete alles für eine schnelle Flucht vor.
Doch sie kamen nicht weit. Noch bevor sie die erste Brücke erreichten, wurde diese von einer wie aus dem nichts kommenden Welle hinweg gespült. Auch auf den anderen Wegen hatte man kein Glück. Immer fand sich Wasser, welches ihnen den Weg versperrte – und auch, wenn es manchmal nur Kniehoch war – die Jungfer hatte berechtigte Angst, hinein zu fahren.
Noch vor Ablauf der Frist kehrte das Edelfräulein wieder nachhause zurück. Am dritten Tag steuerte ein unbemanntes Boot zielsicher das Ufer vor dem Haus an und ein jeder wusste, auf welchen Fahrgast es wartete, Stunde um Stunde. Am späten Abend lief das Mädchen wütend und frustriert zum Boot und traktierte es mit heftigen Fußtritten, bis es schließlich wendete und wieder auf den See hinaus fuhr. Und das Fräulein stand da und lachte, lachte, wie von einer großen last befreit. Und die, die das Schauspiel mit angesehen hatten, lachten ebenfalls.
Am nächsten Morgen lachte keiner mehr. Über Nacht war das Wasser gestiegen. Es reichte bereits bis an die Türen der Häuser, bei einigen war es schon in die Räume eingedrungen. Von den umliegenden Flüssen kam dieselbe Nachricht. Das Wasser stieg und stieg und die ganze Ernte war in Gefahr. Auf den tiefer gelegenen Weiden brüllte das Vieh vor Angst.
Voller Furcht liefen die Leute vor dem Haus des Edelfräuleins zusammen und forderten sie auf, ihr Wort zu halten, welches sie dem Wassermann gegeben hätte. Sonst würden sie alle elendig ersaufen. Und jene, die ihr am Vortag noch Beifall gespendet hatten, schrieen nun am lautesten.
In ihrer Kemenate lag die Jungfer auf ihrem Bett und haderte mit den Göttern, die so ein Treiben ungestraft zuließen. Was bildete dieser Wassermann sich denn ein?
Draußen vor dem Fenster hörte sie die Menge, laut ihren Namen rufen. Schon pochten die ersten Fäuste ans Tor. Plötzlich verstummte die Rufe und das Fräulein erkannte die Stimme des Vaters. Richtig, er würde sie alle zurechtweisen. Er hatte ihr immer beigestanden, egal, was immer auch sie getan hatte. Mehr als einen milden Tadel hatte es nie von ihm gegeben. Und er würde auch diesen Herrn vom See in seine Schranken weisen.
Das Gemurmel der Leute, das wieder aufgebrandet war, schien sich nun zu entfernen. Ein vorsichtiger Blick aus dem Fenster zeigte der Jungfer den Vater mit wie zum Schwur erhobener Hand am Ufer stehen, die Dorfbewohner dicht gedrängt hinter ihm. Was er rief, konnte sie allerdings nicht verstehen. Anschließend sprach er zu den Leuten, die daraufhin zu ihren Häusern zurückkehrten. Und noch etwas fiel dem Mädchen auf: Das Wasser begann sich zurück zu ziehen. Und das edle Fräulein jubelte laut auf –sie schien gerettet.
Flink raffte es seine Röcke es hoch und lief mit fliegenden Schritten dem Vater entgegen.
Es fiel der Jungfer gar nicht auf, wie müde und schwer der Schritt des Vaters war und wie versteinert sein Gesicht. Lachend flog sie ihm um den Hals. Aber anstatt ihre Umarmung zu erwidern, löste er sich aus ihr.
„Geh, Tochter, geh und ziehe dein schönstes Gewand an. Und lege den Brautschmuck an, denn du wirst heute noch heiraten.“ Seine Stimme war kaum zu verstehen.
Entgeistert schaute das Mädchen den Vater an …. Und plötzlich verstand es. Mit einem Aufschrei sank es vor dem Manne nieder und umschlang seine Füße
„Vater, nein, das könnt ihr nicht wollen.“
„Du selbst hat ihm dein Wort gegeben.“
„Aber er ist kein Mensch, er ist bloß ein Wassermann.“
„Ein Wort ist ein Wort. Du selbst hast es geschworen vor den Göttern – aus freien Stücken. Jetzt musst auch dazu stehen. Also steh auf und mach dich bereit.“
Das Mädchen erhob sich wütend und stapfte zornig mit dem Fuß auf
„Niemals. Hörst du, niemals werde ich das tun.“
Der Blick des Vaters verriet Schmerz und Mitleid, aber vor allem seinen unbeugsamen Willen.
So leise die Worte auch ausgesprochen wurden, desto mehr Entschlossenheit war zu spüren.
„Doch, du wirst. Und wenn ich dich binden lassen und dich eigenhändig ins Boot setzen müsste. Du bist für das Geschehen selbst und ganz alleine verantwortlich. Das Wohl des ganzen Landes hängt von der Erfüllung deines Eides statt. Unsere Familie gehörte nie zu den ganz Reichen, aber eines hatten wir immer: unsere Ehre. Es gibt zwei Dinge, die uns stets heilig gewesen sind: die Gastfreundschaft und ein gegebenes Wort. Und noch nie hat jemand unseres Hauses diese Ehre besudelt – und du wirst es auch nicht tun.“
Er verließ den Raum schnellen Schrittes und schaute nicht zurück. Die Magd und die Zofe kamen herein, beide kreidebleich im Gesicht, hinter ihnen waren Wachen erkennbar. Auch wenn man ihnen ansah, dass sie sich nicht wohl fühlten in ihrer Haut, man konnte sicher sein, dass sie den Befehlen ihres Herrn nachkommen würden.
Die beiden Bediensteten brachten ihre Herrin in ihr Zimmer und kleideten sie zum letzten Male an. Und die unglückliche Braut ließ alles wie in Trance über sich ergehen.
Stunden später hatte sich das ganze Dorf, festlich gewandet, am Ufersteg versammelt. Die Männer hatten das schönste Boot gebracht und die Frauen und Mädchen hatten es überreichlich mit Girlanden, Blumen und Schleifen verziert. Gut verteilt wegen der Balance stapelten sich die Aussteuertruhen, welche das Boot ziemlichen Tiefgang nehmen ließen.
Der Edelmann hatte gesagt, dies wäre eine Hochzeit, zwar mit ungewöhnlichem Bräutigam, aber dennoch eine Hochzeit. Und dementsprechend solle man verfahren.
Auf ein Zeichen vom Haus her begannen die Musikanten aufzuspielen. Doch trotz aller Mühen klangen die lustigen Melodien eher wie ein Trauermarsch. Dann öffnete sich das große Tor und am Arme ihres Vaters erschien die Braut. Weiß wie Schnee war sie und sie bewegte sich wie eine Marionette. Wunderschön sah sie aus in ihrem Hochzeitsstaat, geschmückt mit dem Smaragdschmuck, den sie von ihrem Zukünftigen zur Verlobung erhalten hatte.
Das Gesicht des Vaters war wie aus Stein gemeißelt und aschfahl. Doch mit aufrechter Haltung ging er auf das Boot zu. Er half seiner Tochter hinein, küsste sie zum Abschied und löste dann eigenhändig die Leinen, die das Gefährt am Ufer hielten. Dann versetzte er dem Boot einen Stoß, dass es sofort Fahrt aufnahm. Und währen ringsum alles in Weinen, Schluchzen und Wehklagen ausbrach, stand der alte Edelmann wie ein Fels und sah dem dahin gleitenden Boot nach, bis es in plötzlich aufkommenden, silbrigen Nebelschleiern verschwand.
Als alles Volk sich schon verlaufen hatte, stand der Alte immer noch am Steg und starrte auf den See hinaus, die Augen tränenschwer. Längst schon war der Mond aufgegangen, als er sich endlich umwandte und gebeugt und mit müden Schritten in sein Haus zurückkehrte.
Von dem schönen Edelfräulein hat man nie wieder etwas gehört. Ob es wohl glücklich geworden ist, dort im neuen Heim, ausgelegt mit Smaragden?
Das weiß niemand, aber die Geschichte von den vielen Edelsteinen, deren Glanz dem See nun seinen Namen gab, hielt sich hartnäckig.
Und so kam es, dass viele viele, nein, noch viel mehr Jahre später ein junges Pärchen Hand in Hand am Seeufer entlang spazierte. Es bedurfte keinerlei hellseherischen Fähigkeiten um zu erkennen, dass sie in einander verliebt waren. Sehr verliebt sogar und wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie auf der Stelle geheiratet. Aber leider war der Jüngling zu arm, um mit seiner Angebeteten einen eigenen Hausstand gründen zu können.
Und so trösteten sie sich gegenseitig und hofften auf bessere Zeiten.
„Ach“ seufzte das Mädchen „ist das nicht ungerecht. Der ganze Seegrund ist bedeckt mit Edelsteinen. Könnten nicht die Wellen nur einen davon ans Ufer spülen? Recht lange könnten wir davon leben und recht gut auch noch dazu.“
Der Bursche, dem die alten Legenden nicht mehr waren als das Gewäsch und die Hirngespinste alter Weiber, lachte laut und zog seine Liebste neckisch am blonden Zopfe.
„ Du glaubst doch wirklich, dass es da drunten etwas anderes gibt als Schlick und Schlamm.“
„O doch“, das Mädchen nickte ernsthaft. „Meine Großmutter hat mir diese Geschichte erzählt und diese hat es von ihrer Großmutter und diese wiederum von…“
„Halt ein, halt ein“ der Jüngling verschloss ihren Mund mit einem langen Kuss, „sonst vergeuden wir diesen schönen Abend noch mit dem Aufzählen aller Großmütter in deiner Familie. Und da weiß ich wahrlich besseres.“ Er zog seine Liebste neben sich ins weiche Gras und vertrieb ihr auf seine Weise die Erinnerung an sämtliche Ahnen und Urahnen.
Aber so ganz ging die Geschichte dem Mädchen nicht aus dem Kopf und später, als sie durch die Dunkelheit nach Hause schlenderten, fing es wieder davon an zu sprechen.
„Nun“, frotzelte ihr Liebster, „das muss sich doch beweisen lassen. Weißt du was, gleich morgen werde ich hinab tauchen. Und ich schwöre dir, bei unserer Liebe, wenn es dort unten Smaragde gibt, werde ich dir einen davon zu Füßen legen.“
Erschrocken griff das Mädchen nach seinem Arm, ja so heftig war dieser Griff, dass der mürbe Stoff des Hemdes riss und das herzförmige Muttermal auf der Schulter ihres Buhlen freigab.
„Das darfst du nicht tun. Auf keinen Fall, versprich es mir. Es ist viel zu gefährlich.“
Aber er tat ihre Sorge mit einem Lachen ab.
„Was soll schon passieren. Bin ich nicht der beste Schwimmer in der ganzen Gegend.“
Das stimmte, ganz ohne Zweifel. Doch trotzdem war es dem Mädchen, als griffe ihm eine kalte Hand ans Herzen.
„Tu das nicht“ flüsterte es und wusste im gleichen Augenblick, dass seine Bitte umsonst war.
Am nächsten Mittag, bei strahlendem Sonnenschein, ließ sich der Bursche von seinen Freunden auf den See hinaus rudern. Es war ein großes Gejohle im Boot, ein übermütiges Lachen und Scherzen. Mitten im See zogen sie die Ruder ein und angefeuert von lauten Beifallsrufen sprang der Jüngling ins Wasser. Es war das letzte Mal, dass er gesehen wurde.
Tagelang suchte man den ganzen See nach ihm ab – umsonst, der Junge blieb verschwunden.
Die Bestürzung und Trauer war groß, doch irgendwann tauchte das Gerücht auf, er sei wohl heimlich ans Ufer geklettert dann in die Fremde gezogen, um dort sein Glück zu versuchen.
Ansonsten wäre sicher sein Leichnam irgendwo angeschwemmt worden. Allein das Mädchen glaubte nicht daran. Nie und nimmer wäre der Liebste fort gegangen, ohne Abschied zu nehmen von ihr. Traurig schritt die Jungfer den Uferpfad entlang, den sie so oft des Abends Hand in Hand mit ihrem Liebsten gegangen war. An ihrem Lieblingsplatz machte sie Halt.
Da geschah es, dass ein dicker Frosch ihr genau vor die Füße sprang. Sie beugte sich hinunter und es schien, als schaue das Tier sie unverwandt an und dicke Tränen quollen dabei aus seinen Augen. Und noch etwas bemerkte sie. Auf der Schulter hatte der grüne Quaker einen kleinen braunen herzförmigen Fleck.
Doch bevor sie das Tier genauer betrachten konnte, schoss eine riesige Ringelnatter aus dem Gras hervor, schnappte den Frosch und verschwand mit ihm im See. Erschrocken schrie das Mädchen auf und wollte weglaufen - da sah es etwas zu seinen Füßen glitzern. Es bückte sich und hob es auf. In seiner Hand lag ein wunderschöner grün schimmernder Stein und das Mädchen wusste, ohne je einen zuvor gesehen zu haben, dass dies ein Smaragd war.
Ein schier unmenschlicher Schrei entrang sich seinen Lippen und mit einer heftigen Bewegung schleuderte es ihn weit in den See hinein.
Schluchzend lief es nach Hause und es soll sich bis zum Lebensende geweigert haben wieder in die Nähe des Sees zu gehen.
Das, liebe Leute, sind die Geschichten über den Smaragdsee, die seit alter Zeit von Generation zu Generation weiter gegeben werden. Und derjenige, der an ihrer Wahrheit zweifelt, der kann gerne versuchen, auf den Grund des Sees zu tauchen und selbst nachzuschauen.
Habe ich übrigens schon erwähnt, dass es an den Ufern des Smaragdsees auch jede Menge Störche gibt?
- Aus der Feder von Ela von Salthara -